9. März bis 14. April 2012

Dass man beim Blick durch das Schaufenster einer jungen Galerie für zeitgenössische Kunst oder spätestens nach deren Betreten auf das Abbild des Urvogels Archaeopteryx trifft, noch dazu in einer Größe von 220 x 170 cm und auf Leinwand gemalt, dürfte den routinierten Kunstflaneur durchaus überraschen. Denn ist man derzeit nicht fast überall in der aktuellsten Gegenwartskunst vor allem mit konzeptuell gemeinten Versuchen von „Kunst über Kunst“ konfrontiert, welche mehr oder weniger ins Visuelle übersetzten, medienübergreifend inszenierten Referenz- oder Netzwerk-Konstruktionen gleichen, die sich eigentlich nur immer wieder selbst kommentieren?Jenseits dieser Diskurse des „Painting Beside Itself“ (David Joselit) oder des „Expanded Painting“ blickt Kim Nekarda in seinen neuen, zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion changierenden Bildern eines berühmten Fossils, einer Qualle oder anderer Unterwasserwesen über den Tellerrand des Kunstbetriebs hinaus und öffnet sozusagen Fenster in eine „andere“ Welt – in größere Zusammenhänge, die jedoch genauso realer und diesseitiger Teil unseres Planeten sind, auch wenn wir sie oft nicht direkt sehen, nicht unmittelbar begreifen können. Er konfrontiert uns gewissermaßen mit unserer eigenen Blindheit solchen Phänomenen gegenüber. Nicht in eine übernatürliche, surreale Sphäre verweist der Ausstellungstitel also, sondern auf die wundersamen Eindrücke, die unsere Welt selbst zu bieten hat, die jedoch, wenn überhaupt, oft nur Fachleuten wie Paläontologen oder Meeresbiologen bekannt und zugänglich sind.

Kim Nekardas Motive entstehen aus dem Lesen, aus dem sich Versenken in bildgewaltige Literatur wie die von Herman Melville, Victor Segalen, W.G. Sebald oder aktuelle Forschungsliteratur, historische Expeditionsberichte und –Tagebücher. Nekarda weiß genau, was er malt und warum er etwas malt. Er ist sich über das Risiko, mit gegenständlichen Bildern zu arbeiten, durchaus im Klaren. So geht es ihm auch nicht vordergründig um optisch ansprechende oder besonders „exotische“ Motive, vielmehr interessieren ihn die besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten der von ihm dargestellten Lebewesen und ihre mythologischen Konnotationen. Parallel zum Lesen entstehen auch eigene Text-Arbeiten, in denen Nekarda eigene und „fremde“ Gedanken ganz bewusst ineinander „verschmelzen“ lässt.Dieses „Verschmelzen“ realisiert der Maler auch in seinen Bildern, denen – ähnlich einem doppelten Boden – fast immer ein lebensgroßer Abdruck seines eigenen Körpers zugrunde liegt, der unter den Farbschichten des späteren, „fertigen“ Bilds mal mehr, mal weniger deutlich hervortritt. Noch bevor Nekarda also das gegenständliche Motiv mit großer Sorgfalt von gefundenen Fotos auf die Leinwand überträgt, begeht er einen vielleicht als rituell zu bezeichnenden Akt, während dem er sich nackt auf den ungrundierten, von Falten durchzogenen Leinwandstoff legt, um sich mit Farbe abzudrücken oder zu umsprühen.

Das Ergebnis dieses gewissermaßen experimentellen und prozessualen In-Kontakt-Tretens mit der Leinwand lässt sich nach Georges Didi-Huberman als „Kritik an der klassischen Repräsentation sehen – die jedoch einen grundlegend anderen Weg einschlägt als die Abstraktion, denn statt sich radikal vom dargestellten Gegenstand, vom „Realen“ abzuwenden, wendet der Abdruck sich ihm radikal zu“ (siehe „Ähnlichkeit und Berührung“, Köln 1999).

So kommt doch noch eine tendenziell „surreale“ Ebene ins Spiel, deren Resultate an Höhlenmalerei, vielleicht auch an Robert Rauschenbergs und Susan Weils „Blueprint Portfolio“, Jasper Johns „Study for skin“, „Diver“ oder – übertragen ins Dreidimensionale – auch an dessen „Target with Plaster Casts“ oder Paul Theks „Fishman“ erinnern, dabei aber vor allem auf die Sehnsucht des Künstlers nach beidem, Selbstinfragestellung und Selbstvergewisserung hindeuten. So ist er in seinen mit dem eigenen Körper „signierten“ Werken als Künstler, als Autor an- und abwesend zugleich und behauptet eine „Intertextualität“ mit den darüber oder daneben gemalten Lebewesen oder Szenarien. Er stellt sich selbst in einen größeren Zusammenhang und verdeutlicht seine Auffassung, dass der Mensch auch nur ein Tier unter Tieren ist, Ergebnis einer seit Milliarden Jahren andauernden Evolution.Die Tatsache, dass Nekarda auf dem eingangs erwähnten Gemälde den Körper des Archaeopteryx fast deckungsgleich über dem seinen auf die Leinwand gesetzt hat, darf einen ruhig amüsieren. Denn ohne ein gewisses, mit Humor unterlegtes Pathos könnte das Werk eines Künstlers, der „Kunst als Vehikel zur Entschlüsselung und Erkenntnis der Welt“ begreift, heutzutage unerträglich didaktisch oder gar „missionarisch“ ausfallen. Hier jedoch beginnt die Fantasie beinah in den Himmel abzuschweifen, wenn etwa der uralte Menschheitstraum vom Fliegen paradoxerweise im Abbild einer Versteinerung wieder aufsteigt – oder aber, angeregt durch die anderen Exponate, tief unter die Wasseroberfläche zu tauchen, wie um in krustigen Muschelschalen oder Korallen die Wiege allen Lebens, auch des menschlichen, zu erblicken.

Barbara Buchmaier