29.Oktober 2015 bis 12. Dezember 2015

The line between art and life should be kept as fluid, and perhaps indistinct, as possible.

Allan Kaprow (1956)

Die Dinge des Alltags sind nicht stumm. Sie geben bei Aktivierung ein gleichmäßiges, bohrendes Geräusch von sich, erzeugen einen Luftzug oder ein Tonsignal. Doch stehen diese Objekte nicht für sich, sie befinden sich in guter Gesellschaft: Es sind ihnen Figuren oder andere Gegenstände gegenübergestellt. Auch die figurativen Skulpturen artikulieren sich in ihrer expressiven Darstellung. Der Ort oder Raum dieser ungleichen Begegnungen ist nicht genauer bestimmt. Vielmehr ermöglicht die Freistellung dieser Dinge einen Blick auf die weiße, unbestimmte Fläche, auf der sie zusammentreffen. Ihr Enthoben-Sein von Raum und Kontext steigert die Aufmerksamkeit auf den nicht vorhandenen Ort, an dem eine solche Kombinatorik der Dinge jenseits von Größe und Funktion möglich wird.

In seiner ersten Einzelausstellung bei Clages konfrontiert Christian Theiß in fotografischen Wandarbeiten, Objekten und Vitrinen eine alltägliche Warenwelt mit handwerklicher und künstlerischer Produktion. Der Ort des Zusammentreffens seiner beiden am Eingang und der Stirnwand platzierten Wandarbeiten mit dem Titel The item and its shadow (2015)ist zwar nicht näher definiert, aber er findet sich im Medium der Fotografie und im Display der Acrylglasplatte: Die beiden einander zugeordneten Gegenstände erscheinen bei genauer Betrachtung als gerasterte Schwarz-Weiß-Fotografien, werden als bereits gedruckte Aufnahmen in einem zweiten Schritt fotografisch zusammengebracht. Ein als Designklassiker erkennbarer Fön richtet seine Düse auf den Kopf einer Maria Magdalena, deren affektiver Ausdruck vom wehendem Gewand, Händen und Gesicht den Eindruck höchster Klage vermittelt. Die andere Fotoarbeit auf weißer, frei vor der Wand schwebender Acrylglasplatte zeigt die Gegenüberstellung einer Bosch-Bohrmaschine mit einem Heiligen Georg während seines Drachenkampfes. Das Gerät ist mit senkrecht nach unten gerichtetem Bohrer in eine Halterung eingespannt und ist parallel zu der Lanze des Kämpfers ausgerichtet, mit der er das Untier erlegt. Bei der Plastik handelt es sich zum Einen um die bekannte und „gleichsam außerhalb der Zeit“ (Gnudi über dell’Arca, 1942) modellierte Terrakottafigur der Maria Magdalena des aus Bari stammenden, in Ferrara während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wirkenden Bildhauers Niccolò dell’Arca. Die Maria Magdalena gehört zu seiner in S. Maria della Vita in Bologna aufgestellten, aus vollplastischen Figuren bestehenden Pietà. Der Georg hingegen orientiert sich in etwa an den Darstellungen des 15. Jahrhunderts, ist jedoch als vielfach wiederholbare, kleinformatige Holzskulptur von einem süddeutschen Holzschnitzer 1982 für den privaten Besitz gefertigt worden. Auf verschiedenen Ebenen entwickelt Theiß’ Kombinatorik in der Wahrnehmung ein Eigenleben und feinen Humor. Die Dinge rücken in ihrer Produktion und Verfügbarkeit in den Fokus: Sind sie industriell gefertigt und Massenprodukt oder Ausdruck einer höchst eigenständigen Kühnheit, ihrer Zeit voraus? Oder stellen sie eine vielfach wiederholte Auftragsarbeit einem exquisit ausgewählten Vintage-Objekt gegenüber?

Der Titel The item and its shadow legt auch andere Fragen nahe: Wie wird hier das Thema der Fotografie verhandelt? Sind die Dinge nur in der Aufnahme modellierte Wiederholungen der manifesten und bildmächtigen Objekte oder findet der als sehendes Auge gestaltete Föhn einen Reflex in der Figur, die in höchster Erregung ihre Totenklage artikuliert? Obwohl der Ort dieses Zusammentreffens von Gebrauchs- und Anbetungsgegenstand abstrakt bleibt, so ist er immerhin vorstellbar. Auch das Bildarchiv ist als Speicher der kontextenthobenen Dinge denkbar. Christian Theiß hat bis auf die Magdalena alle Objekte selbst aufgenommen und diese als Fundstücke auf einem Bildträger einander gegenübergestellt.

Im ersten Ausstellungsraum bei Clages eignet sich der Künstler zudem einen weiteren Raum an, — denjenigen der Objekte, da er zu den Wandarbeiten drei weitere Werke zeigt: eine Bodenarbeit, in der ein verchromter AEG-Föhn sich gegen den altertümlich anmutenden Staubsauger der Marke Mielette Luxus behauptet. Beide Gegenstände sind in direkter Konfrontation an einer schmalen Halterung auf eine Stahlplatte montiert, fast schwebend stehen sie sich gegenüber (o.T., 2015). Hier findet das ungleiche Zwiegespräch oder der technisch geführte Kampf im Ausstellungsraum statt. Fön und Staubsauger sind zwar nicht an eine Stromquelle angeschlossen, erscheinen jedoch als Kontrahenten — heiße Luft vs. Ansaugtechnik —, fast vermenschlicht oder animalisiert. Im Display des Schaufensters oszilliert das Ensemble zwischen Readymade und Ware, Exponat und Akteur, spielt diese im fotografischen Bild verhandelte, bildästhetische Verschiebung auf der Objektebene noch einmal durch. Die weiteren Zeugen dieses Zusammentreffens der Dinge sind eine an der rechten Galeriewand angebrachte, verchromte und geschwungene Satellitenschüssel (o.T., 2015) sowie an der gegenüberliegenden Wand die weiße Keramikarbeit Echo (2015), die im Inneren der abgegossenen Nierenschale ein Gesicht mit geöffnetem Mund sichtbar werden lässt. Empfangsgerät und Schale zeigen nicht nur in der ein- und ausschwingenden Form einen Wiederhall. Vielmehr wird die Satellitenschüssel zu einem Konkavspiegel, der den Raum wie auch seine Betrachter_innen spiegelt. Mit der Arbeit Echo wird dieser Spiegel in ein „Dingdrama“ von Sender und Empfänger mit Anklängen an die Geschichte von Narziss und der Nymphe Echo transferiert.

Im Entree der Ausstellung deutet sich Christian Theiß’ künstlerisches Verfahren der Freistellung und Gegenüberstellung in einer Assemblage- oder Montagetechnik nur an, da hier die Auseinandersetzung mit dem gedruckten, gerasterten und verfügbaren fotografischen Bild auch zum Sujet wird. Der zweite Raum — das Büro — hingegen lässt keinen Zweifel an dem kombinatorischen Spiel mit Assemblagen, wie sie von den Dadaisten, Surrealisten und später im Nouveau Réalisme oder in den Combine Paintings der Pop Art durchgespielt wurde. Der Künstler hat in zwei Vitrinen und mit einer Wandarbeit aus der Zeit gefallene Alltagsobjekte mit Fotografien und anderen Materialien im Anklang an die surrealistische Praxis zu eigentümlichen Ensembles zusammengefügt: Bei Tel. Thorax wächst das Fotogramm eines menschlichen Skeletts direkt aus dem schwarzen Wählscheibentelefon und wird von einer abgegossenen Gipsschere auf der gegenüberliegenden Wand aus drei Augen angeblickt. Ein schwarzer, an der Wand angebrachter Locher heftet sich in den von Licht und Schatten modellierten, männlichen Rücken einer Schwarzweiß-Aufnahme (alle 2014).

Dass die Auseinandersetzung heterogener Dinge spielerisch erfolgt und verschiedene Zeitebenen eröffnet, zeigen die Arbeiten im hinteren Teil der Ausstellung. In der großformatigen, dreiteiligen Fotoserie Hangman (2015) wird der Künstler selbst zum Sujet und Objekt neben einem überlebensgroßen Fotostativ. Der Titel vergegenwärtigt einerseits buchstäblich den Gestus des Hängenden, andererseits verweist er auf das Wortratespiel. Visuell erfolgt hier eine ironische Replik auf Größe und Absurdität der Szene. Auf den zweiten Blick wird jedoch in der leichten Bewegung des Fotografierten auch die Zeitlichkeit der fotografischen Sequenz sichtbar, die keiner Narration zu folgen scheint. Die Inszenierung zelebriert möglicherweise weniger ein Todesverfahren, sondern enthüllt vor allem die Stillstellung des Körpers als Objekt in der Fotografie. Die Referenz an das Wortspiel lässt ebenfalls an eine andere surrealistische Praxis denken, den cadavre exquis, bei dem die Surrealisten zunächst Wörter und dann Zeichnungen zu absurden Sätzen und Gebilden kombinierten. Hier transferiert Christian Theiß das Zufallsspiel in die Konfrontation zweier Dinge. Diese zeigt sich ebenfalls in dem Display eines Leuchtkastens (o.T. (He walks away, the sun goes down, he takes the day), 2015) im Nebeneinanderstellen eines gefundenen Schlangenfotos mit den Lyrics des Amy Winehouse-Songs „Tears Dry On Their Own“.

Georges Didi-Hubermans Fragen zum Entstehungsprozess der fotografischen Bilder (Bild Gegen Bild, 2012) berühren auch diejenigen von Christian Theiß: In welcher Form entstehen Bilder von Bildern und was zeichnet das Foto davon auf? Wie stehen Aufnahme und Abdruck in Beziehung? Was vermögen sie über die Dinge zu enthüllen?

 

Lilian Haberer