Christian Theiß | RE IN AN KA RA
04 Sep – 31 Oct 2020
Prothesen sind ein Mittel zur Vervollständigung, des Anfügens. Christian Theiß‘ Werke bedienen sich oft dieser Logik, erweitern sie und spielen mit der Bedeutung, die den Objekten innewohnt. Innerhalb der Tradition der Assemblage agierend, kombiniert Theiß Konsumobjekte und Zeichen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen und spielt mit deren vielfältigen Zirkulationskreisläufen. Gedankenkonstrukte als Symbole und Systeme sowie die Gestaltung bekannter und fast vergessener Menschheitsgeschichte fließen von einer Werkgruppe zur nächsten. In diesem Sinne wirkt die Ausstellung dem Prozess des Bedeutungsschaffens und dem des Aussterbenlassens entgegen.
Im ersten Teil der Galerieräume ist eine großformatige Installation zu sehen, die eine Fläche aus zusammengelegten Metallplatten bildet. Aus der Metalloberfläche wachsen fehlgeleitete Spazierstöcke heraus, die längst ihren Weg verloren zu haben scheinen: ihre neue Form entledigt sie ihrer Funktion. Statt jemanden zu führen, zu schützen, haben sie nun Unabhängigkeit erlangt und sich für das Leben eines heimlichen Tänzers entschieden. Die Archäologie des Wissens, die hier zutage tritt, zeugt von einer ausgeprägten Fähigkeit, mit Erinnerungen und Zeit zu arbeiten. Jedes der Objekte, dem Theiß eine neue Entität verschafft, ob es sich um Keramikvasen, Möbel und Auspuffanlagen oder Füllmaterial wie Polyurethan und Zement handelt, behält seinen Status als Teil dieser Welt, hält an dem fest, was es identifizierbar macht. Doch seine jeweilige Spezifität und ihre Bedeutung der Materie wird manipuliert und für mögliche neue Erzählstränge geöffnet. Weitere Werkgruppen enthalten Verweise auf altägyptische Kultur und die griechische Mythologie, deren Rezeption und Wahrnehmung im Laufe der Jahre vielfach analysiert und kritisiert worden ist. Mythos ist eine traditionelle oder legendäre Geschichte – das Reich des Mythos funktioniert daher als allegorischer Zustand.
Es gibt eine große Kluft, die sich zwischen antiker Geschichte und dem sogenannten Zeitalter der Vernunft gebildet hat. Theiß geht auf diese komplizierte Übergangszeit ein, indem er mit seinen Arbeiten einen Moment schafft, der einen neuen Blick ermöglicht – ein Blick, der zwar die Identität der einzelnen Gegenstände sichtbar lässt, aber dennoch durch ihre gemeinsame Transformation eine neue Entität erzeugt. Sein Akkumulationsprozess lässt ein Fenster offen, sodass eine Gehhilfe, präparierte Tiere oder auch im Laden gekaufte, billige Vasen sichtbar bleiben.
Nun haben sie aufgehört, als das materielle und funktionale Objekt, das sie einmal waren, zu existieren. Sie sind Subjekt eines Prozesses der emotionalen Entstellung geworden, bei dem ihre Form und ihr Zweck neu aufgeladen wurden. Diese Konstruktionen scheinen die Spannung zwischen Fakt und Fiktion hervorzuheben, die auf eine Kultur der Erinnerung und eine Gewohnheit des Vergessens verweisen.
An seinem Tanzstock festhaltend kippt er um und stürzt über ein Minenfeld aus leuchtend roten Mohnblumen. Ein dummer kleiner Junge schaut ihn von der anderen Seite des Raumes an. Er ist aus Bronze und seine Augen sind hohl. Mit der Zärtlichkeit, mit der er von seiner Mutter, der legendären Venus im Pelz, gesegnet wurde, versucht der dumme Junge, ihn einzufangen und wegzusperren, aber es gelingt ihm, zu entkommen und sich im ersten Stock zu verstecken. Schnell eilt er durch einen weißen Raum, der ihn an sein früheres Leben erinnert, auf den Gipfel des Olymp und ruft die folgenden Worte der Weisheit, als seine Reise ihr verheerendes Ende erreicht:
“If you are curious don’t wait.
Take a trip there.
Find it.
It’s somewhere out there in the woods waiting.
Ready to head into the unknown?
No.
Let’s go then.”
Haris Giannouras