Bradley Davies | Hochstapler

13 Nov 2020 – 09 Jan 2021

 

Nachdem man die Stufen in Bradley Davies‘ Hochstapler hinaufgegangen ist, beginnt man buchstäblich ganz oben. Die Schuhe knirschen auf dem Asphalt eines Hausdaches, aus dem zwei breite Schornsteine herausragen.  Dass Davies sich mit den Einbildungen der Sprache beschäftigt, wird sofort klar, wenn man sieht, wie sich die Illusion, die durch diese Umgebung entsteht, trotz aller Überzeugungskraft durch die scheinbar zusammenhanglosen Bilder an der Wand rasch auflöst. Diese trompe-l’oeil-umrahmten Jockey-Seidenjacken erinnern an einen Herrenclub oder eine Sportbar. Dies ist kein hoffnungsvoller Blick auf den weiten Himmel oder den vollen Mond, bei dem wir für einen kurzen Moment so tun könnten, als wäre alles normal. Diese falschen Trophäen in ihren gefälschten Rahmen projizieren einem eine weitere Binsenweisheit entgegen: Um sie an der Wand haben zu können, muss man das Rennen gewonnen haben.

 

Beim Besuch dieser Ausstellung, die keine zwei Wochen nach Beginn des Lockdown (lite) stattfindet, lässt es sich zu Recht vermuten, dass Davies‘ Verdoppelung dieser einschmeichelnden Formen der Affirmation eine subtilere, anzüglichere Absicht verfolgt. Wenn man sich weiter durch die sich entfaltenden Räume von Hochstapler bewegt, lässt sich buchstäblich das Bitumen riechen, während man auf das Dach unter den Füßen hinunterblickt, das diese kleine Welt auf den Kopf gestellt hat. Und es ist jetzt eine kleine Welt. Selbst für die am weitesten gereisten unter uns ist das Fortbewegen zu einem ermüdenden Luxus geworden, der ein so episches Maß an Vorsicht erfordert, dass es bereits als Meme verewigt ist.

 

Und nachdem man die Stufen in Bradley Davies‘ Hochstapler hinaufgegangen ist, betritt man einen mimetischen (oder gar memetischen) Raum, in dem Bild, Sprache und eine gemeinsame kulturelle Erfahrung zu einer unheimlichen symbolischen Verdichtung sublimiert werden. Hochstaplers Erfolge sind an der Wand gerahmt, aber ebenfalls sorgfältig gefälscht. Hochstaplers helle Aussichten sind die schlichten weißen Wände jenseits der klapprigen Funktionsstrukturen eines billig gefertigten Daches. Sogar die Schornsteine sind gefälscht und von Davies aus Pappmaché und Holz präzise modelliert. Die makabren Schemen von imaginierten Siegen und stürzenden Gewissheiten enden bald in völliger Paranoia, einer Sackgasse. Hier ein abschließendes Trompe-l’oeil-Werk oder ein scharfäugiger Blick, mit dem der Hochstapler von unter den einst vertrauten Dielenbrettern heraus starrt.

 

Eine Sackgasse aus totem Holz führt dann die Treppe in den Keller hinauf, da ein echter Albtraum (oder wie die gegenwärtige britische Regierung glauben machen will, das unvermeidliche Leben eines Künstlers nach der Kunst) einen zweiten Akt haben muss. Hier verlagert sich Davies‘ Fokus von der spielerischen Manipulation der englischen Sprache in Bildern darauf, die buchstäbliche Bedeutung des deutschen Wortes Hochstapler (jemand, der Dinge hoch stapelt) herauszukitzeln und die Besucher*innen in ein typisches unterirdisches Labyrinth eines deutschen Wohnhauses hinaufzuschicken. Hier stellt man all den unerwünschten Müll hin und lässt ihn verrotten, bevor er auf den Flohmarkt gebracht oder bei ebay verscherbelt wird.

 

In diesem Labyrinth empfängt einen die skurril onkelhafte Gestalt eines Skeletts (gehäutet, nicht geprügelt), das in der bitteren Enge eines Verlieses wankt – hinter der nächsten Kurve ist man erneut mit dieser Gestalt konfrontiert, diesmal in der klar identifizierbaren Pose von Rodins Denker. Einem Wortspiel auf der Jagd nach dem Künstler folgend: hat Davies sich das gut überlegt. Zu einer Zeit, in der der kommerzielle Wert der Kunst als Ware zwar feststeht, ihr Ort aber physisch dem Chaos unterworfen ist (denn aus Kellerlatten liest man unfertige Messestände oder vernagelte Museen), geht diese Art durch Raum zu denken über eine Geste hinaus und setzt stattdessen einen Anspruch auf die Gültigkeit der Kunst als Ort der Reflexion und Kontemplation voraus, insbesondere in einer Krise. Ähnlich wie seine Vorläufer Art & Language oder Marcel Broodthaers, greift Davies spielerisch das vielleicht allzu oft verdrängte Potenzial der Kunstgalerie als unabhängigen Ort der kritischen Auseinandersetzung und (das Hochstaplersyndrom sei verdammt) in dieser hochtourigen, unruhigen Zeit als letzte Bastion für die systemimmanente Relevanz der komponierten Reflexion und Kritik und des Kunstwerks auf.

Krzysztof Honowski, November 2020