26. Januar bis 08. März 2013

Landkarten sind Navigationsmittel zur Orientierung, repräsentieren in ihrer Übersetzung räumlicher Vektoren in visuelle Zeichen aber auch eine bestimmte Sicht der Welt. Die Kartografie skizziert eine Landschaft, die sich dem Auge real nicht bietet, eine Abstraktion, die Übersichtlichkeit selbst dort suggeriert, wo geografische Unschärfe herrscht. Trotz oder gerade wegen ihrer maßstäblichen Übersetzung und mathematischen Präzision haben Landkarten deshalb letztlich imaginären Charakter. Sie sind nicht Abbild einer gegebenen Welt, sondern legen deren Konstruktion offen, indem sie selbst Konstruktionen sind.Daniel Maier-Reimer erwandert unbekannte, meist menschenleere Gebiete, urbane und ländliche Gegenden entlang kartografisch fixierter Umrisslinien von Städten und Landschaften. Zugleich dokumentiert er die Landschaften, die er durchquert, in wenigen ausgewählten Fotografien. Diese zeigen allerdings keine spezifischen, eindeutig zuzuordnenden Motive, sondern entziehen sich in ihrer lakonischen Wiedergabe diffuser Lokalität jeder Festschreibung auf einen bestimmten Ort. Während die Kartografie eine Wissenschaft des Beobachtens, des Aufzeichnens und Kategorisierens ist, revidieren die Fotografien von Maier-Reimer jeden Anspruch territorialer Erfassung, indem sie allein das Gesehene zum Repräsentanten einer subjektiven Erfahrung von Raum und Zeit erheben.

Auch die Fotografie, die während einer Wanderung entlang der Stadtgrenzen von Florenz entstanden ist, zeigt eine Landschaft in Nahsicht, die überall und nirgends sein könnte. Sie fällt in ihrer Darstellung einer Gegend in der städtischen Peripherie weit hinter die Erfahrung der Reise, der zurückgelegten Route und ihrer Dauer zurück, und doch ist es gerade dieser Nicht-Ort, der untertrennbar mit der Karte als Markierung eines spezifischen Ortes verbunden ist. Er ist das Erinnerungsmoment, das die zurückgelegte Wegstrecke konserviert.Für seine Einzelausstellung bei Clages hat Daniel Maier-Reimer den amerikanischen Künstler David Brooks eingeladen, eine Visualisierung dieser Wanderung zu entwickeln. Auch diese bewegt sich entlang der Dialektik von Ort und Nicht-Ort und übersetzt die Wanderung entlang der florentinischen Stadtgrenze in eine raumgreifende skulpturale Intervention. Sie eignet sich das Prinzip des Kartografischen an, um es jedoch in seinem repräsentativen Anspruch zu revidieren. Der Raum im Raum erweist sich dabei als begehbare Struktur, die erst im Inneren die Konturen jener auf der Landkarte markierten Wegstrecke offenbart. Es handelt sich gewissermaßen um eine verräumlichte Spur, durch die sich der geografische Horizont in den realen Raum erweitert. Nur im Umschreiten lässt sich das Ausmaß dieser Figur im Raum einigermaßen erfassen, nur in ihrem Inneren die Wanderroute entziffern. Der Maßstab der Route folgt dabei den Koordinaten des Galerieraums, während die Vorstellung des Ortes an die Evokationskraft des Namens Florenz delegiert wird.

Die skulpturale Manifestation im Raum wird so letztlich zum Vektor einer Abwesenheit. Und doch strahlen Florenz und seine stadträumlichen Grenzen weit in die weiße Textur der Stoffbahn hinein. Wir erinnern uns an Lewis Carrols Ballade „Die Jagd nach den Snark“ und ihre Abbildung einer kartografierten Leere, die den Ozean als weißes Blatt darstellt. An den Rand gerückte Begrifflichkeiten – Nord, Ost, West, Äquator, heiße Zone, Südpol – versprechen Orientierung. Es ist jedoch gerade die Ortlosigkeit dieses Meeres, die in ihrem buchstäblichen Nichts die Erfahrung des Ozeans in greifbare Nähe rückt. Auch „Daniel Maier-Reimer, walk following the Florence city boundary line, presented by David Brooks“ ist ein solches Erfahrungsbild aus Ort und Nicht-Ort, das Gewissheiten verspricht und wieder verunsichert, den Überblick verweigert, das Raumgefühl irritiert und trotzdem eine präzise Vorstellung davon aufkommen lässt, wie es sein könnte, eine Stadt in der Toskana zu umwandern.

Vanessa Joan Müller