Eröffnung: Freitag, 26.02.2016, 19 Uhr | 27. Februar – 2. April 2016

Setzen Sie sich ruhig. Es liest sich besser im Sitzen und der blaue Stuhl ist noch frei. Welcher blaue Stuhl? – Na, dort auf der Karte neben jenem Stapel, von dem Sie diesen Text hier genommen haben.

„Zuwenig Platz drauf“, mögen sie einwenden oder schlichtweg ein Problem mit den Dimensionen konstatieren. Aber die Tänzerin, umspielt von Noten und Notenschlüsseln als Relief im blauen Plastik, sehen Sie die?

Ihre Bewegung ist auf ewig eingefroren, aber zugleich dabei, Raum einzufordern. Sie erscheint nicht statisch, in ihrer Pose ließ sich gar nicht verharren, der unmittelbar folgende Hüftschwung, die Eleganz, mit der sie ihre Arme nach oben recken wird, sie scheinen im Bild schon enthalten. Ewige Dynamik, welche sich den Regeln von Zeit und Raum widersetzt oder ein nicht minder ewiges Versprechen?

Ein paar Schritte und eine Drehung weiter:

Wieder unbewegte Bewegung. Hinter den Farbfilterständern reichen die Bewegungen des schnauzbärtigen, offensichtlich anmutigen Tänzers in den Raum. Zwischen Farbfilter und Werk ist davon aber nichts mehr zu sehen, vielmehr ein leicht gegeneinander verschobenes Bild. Klar, 3D Effekt. Aber je selbstverständlicher er in den großen Kinosälen unserer Zeit wird, desto eigenartiger erscheint die Frage nach dem Ort des Effekts. Im Raum? Im Kopf des Betrachters? Gäbe es das Bild nicht, wäre es nicht im Kopf. Könnte der Kopf keine stereoskopen Bilder verarbeiten, gäb es die Wahrnehmung der dritten Dimension nicht. Den Tänzer berührt das alles wenig. In seiner weiten Alltagskleidung, die einen gar nicht so schlanken Körper umhüllt, wirkt er ganz bei sich, seine Anmut zugleich ein wenig amüsant. Vielleicht weil er nicht ganz den Vorstellungen von einem Tänzer entspricht? Sind die unvermeidlichen Vorstellungen also auch noch bedeutsam, das Bild in uns, mit dem wir das Gesehene abgleichen? Der Tanzende ist übrigens im Leben jenseits der Bildfläche Choreograph.

Ist da nicht noch ein Choreograph?

In entschlossenen, bald hektischen Bewegungen, unterstützt von gebieterisch weisenden Gesten, die ansatzlos in fahrige Unruhe kippen können, bewegt sich ein sehniger Mann durch eine Gruppe kostümierter Menschen. Alles im Video „Stumbler“ wirkt ein wenig wie auf einer Schulaufführung, vielleicht bietet die Erfahrung auch andere Matrizen an, doch es scheint, der Mann, dessen Ernst und akkurate Kleidung ihm etwas Militärisches verleihen, ordnet. Derart scheint es, so lange, bis keine Struktur mehr erkennbar ist und man beim Versuch resigniert, zu antizipieren, was der Mann will, wen er wohin auf der Bühne verfrachten mag und sich stattdessen plötzlich in einer Performance wähnt. Will er gar nichts ausser der Kunst? Doch dann tanzen einige der Kostümierten. Allein, die verblüffend umständlichen, in ihrer Komplexität dem Stolpern geweihten Schritte der jungen Männer, nebst deren verlegenem Grinsen, vermögen der Vorstellung nicht ganz überzeugend erneut zu versichern, wirklich einer Tanzaufführung beizuwohnen. Dann erhält der Choreograph noch Instruktionen von einem anderen Mann am Bühnenrand. Haltung wahren, Anfangen! Doch als irgendetwas anfängt, die Musik einsetzt, blendet das Bild aus. Wir bleiben zurück, mit dem, was wir haben.

Im hinteren Raum hängen Tücher.

Die kunstvollen Stoffe der vermeidlichen Tänzer kommen in Erinnerung. Hier ist die Gestaltung rauher, unmittelbarer, da keine Muster, sondern Bilder dominieren. Aktion, Protest, irgendetwas erinnert an Punk. Es sind Szenen der „Bathouse raids“ aus dem Jahr 1981, Torontos Äquivalent zu den Ereignissen in der Christopher Street, den „Stonewall riots“ anno 1969 und nicht weniger bedeutsam für das Selbstverständnis der kanadischen LGBT community.

Das Recht darauf, unbehelligt selbstbestimmt zu sein – Bilder können davon berichten, es propagieren, aber kein Bild kann dieses Recht für sich selbst einfordern. Um das Zentrum auch des dringlichsten Statements flirrt der Raum der Interpretationen. Selbst in seinem Zentrum vermögen nur Worte zeitweilig Halt zu geben. Denn wer hätte die Bildinhalte so ohne weiteres decodieren können? Zurück in den anderen Räumen bringen sich die soeben vom Wort verdeckten Unsicherheiten eh wieder in Erinnerung. Was ist ihr Zusammenhang? Gibt es einen? Gibt es Halt?

Ob ich mich mal kurz auf dem blauen Stuhl niederlassen könnte?

Oliver Tepel