12. Juni bis 25. Juli 2015

„Whether large or wide or small or narrow, black and white or bright color projected light of the cathode– ray tube or plasma screen – the space of the screen is a virtual space, an elsewhere that occupies a new dimension.“

(Anne Friedberg, The Virtual Window: from Alberti to Microsoft, Cambridge, Mass. 2006, S.179)

Die Handlung am Objekt – auch wenn sie als vergangener Akt sichtbar wird – wirkt sich auf die Umgebung aus. Sie bleibt sichtbar an der Schauseite der als Sequenz hintereinander doppelt und dreimal vierfach auf dem Boden aufgeschichteten Motorhauben von VW Polo und Golf der Arbeit ›The New Men and the Death of Man‹. Milchig und stumpf ist der Lack vom Airbrushfilm der eingetrockneten Buttermilch auf den schwarz und grau, blass blau und grün lackierten, leicht geschwungenen Vorderteilen der Kleinwagen. Reste von ursprünglichen Nutzungen, Kratzer und Abdrücke legt diese Patina offen. Zudem zeigt sich das Handeln als flüchtige Bewegung des Hinsetzens, der Strukturen des Stoffs, der Haut, der elastischen Naht in Gips konserviert. Blassgrün eingefärbt und auf drei hohen, bündig abschließenden Holzsockeln als Reliefs in Reihe liegend, zeigen sie im zweiten Raum der Galerie Clages Hohlformen des menschlichen Gesäßes. Horizontal abgelegt und dem Blick frontal ausgeliefert, exponieren die Objekte ihre Oberflächen, dienen quasi als Screens und Projektionsflächen der sich ihnen eingeprägten Gesten.

Ob industriell gefertigte, entlehnte Teile oder durch Abformung entstandene Dinge, die Wiederholung der vollzogenen Aktion und die serielle Vervielfältigung lassen sie selbst als handelnde Mittler (mediants) im Sinne Appadurais (1) erscheinen: Sie üben demnach keine auratische oder theatrale Präsenz aus, vielmehr stellen sie sich in der Reihung als erweiternde Displays selbst aus, sind on display. Sie stehen weder in Verbindung zur Minimal Art – auch wenn der reduzierte Gestus zunächst daran denken ließe – noch funktionieren sie als abgelegte Dinge oder als Marker, um sie sich selbst und weiteren Prozessen zu überlassen und dabei eine Mise-en-scène zu vermeiden, wie es beispielsweise Pierre Huyghe für seine dOCUMENTA (13)-Arbeit formuliert hat. (2) Sie könnten eher, wie Fiona McGovern im Hinblick auf die Verwendung des Displaybegriffs bei Künstlern wie Heimo Zobernig und Thomas Hirschorns formulierte, als eine künstlerische Praxis verstanden werden, bei der das Handlungsmoment des Ausstellens, Anordnens, Exponierens und Kuratierens im Vordergrund steht und eine Distanz zur skulpturalen, installativen Setzung gesucht wird. (3)

Die Objekte entblößen sich nicht, sie legen nur ihre Herkunft als gefunden oder bearbeitet offen. In diesem Zustand verharren sie, auch wenn ihre Entstehung sichtbar bleibt und das Stapeln und Reihen, des Abdrucks wie auch der Ablagerung an ein bildhauerisches Vokabular für Handlungen erinnern, wie es Richard Serra beispielsweise für seine Hands-Filme (Hands catching lead, Hands scraping, Hands tied, alle 1968) verwendete. Sie geben zu sehen im Material, öffnen den Raum und fordern durch eigene Strenge heraus – sind „Deadpan“, wie Stricker äußert: Pokerfaces. Ihnen ist die Zeitlichkeit der an ihnen vollzogenen Handlungen eingeschrieben.

Im zweiten, hinteren Galerieraum wird der Prototyp der Hinterteil-Gipsabdrücke kniehoch zusammen mit der Video-Soundarbeit ›seven minute tracking‹ auf einem hochkant an der Wand angelehnten Bildschirm gezeigt. Die rund siebenminütige Sequenz eines Handyvideos adaptiert die Perspektive der Objekte, indem das Mobiltelefon auf einem Autositz platziert die Bewegung des Hinsetzens als kurze Bildirritation und Suspense auf dem Bildschirm zeigt. Die Arbeit lässt eine Handlung an und mit dem technischen Gerät erkennen, die vor allem akustisch erfahrbar wird: Der Moment des körperlichen Abdrucks auf dem Display wird zu einem dumpfen, haptischen, aber schwer greifbaren Geräusch. Dann ist im Hintergrund nach einer Weile der regelmäßige Maschinensound des Fahrens zu hören während der Screen schwarz bleibt. Stricker lässt den Produktionsprozess, der bei den Gipsarbeiten und den Motorhauben als eingeschriebene Handlung wahrnehmbar ist, hier akustisch nachvollziehbar werden. So findet eine Virtualisierung dieser haptischen Erfahrung im visuellen und akustischen Medium statt, bei der die Dinge selbst als Mittler einen Prozess anstoßen und Projektionsflächen für weitere Konfrontationen, etwa mit Wirklichkeit und Umgebung werden. Diese Objekte werden dadurch nicht nur zu Handelnden, sondern sie ermöglichen, transformieren Wirkliches und eröffnen – wie Johannes Lang bemerkte – aufgrund ihrer produktionsästhetischen Ausrichtung einen Handlungsraum. (4)

Fabrik der Fiktion als ein gefundener Ausdruck der Künstlerin und ein Versprechen regt die imaginative und filmisch-mentale Bildproduktion unmittelbar an und funktioniert hier als ein Gegenpol zu dem in den Räumen der Galerie Clages exponierten Arbeiten. Denn die künstlerische Skepsis gegenüber den Objekten als Ausgangsmomente räumlicher und physischer Konfrontation wird durch die Reihung und Doppelung der Dinge als Feedback wirksam: ein Zurückfallen auf sich selbst, das die Aura etwa der automobilen Ersatzteile als Readymades aufhebt oder die Einmaligkeit einer künstlerischen Produktion durch Wiederholung des Gestus und Einfärbung zurücknimmt. Es bleibt ein Grundrauschen, das die Reaktion der transformierenden Bearbeitung – Buttermilchreste als Farbbinder – Leerstellen und Einkerbungen im Gips – konserviert und vom Handlungsprozess dasjenige visualisiert und virtualisiert, was bislang nicht gesehen wurde.

Lilian Haberer

(1) Es geht hier um die Materialitätsdebatte, die Arjun Appadurai auf Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) aufbaut, wie bei Latour haben Mediants Handlungsmacht/Agency und sind Entitäten, die Dinge, Menschen, belebte und belebte Materie gleichermaßen umfassen. Allerdings liegt bei Appadurai der Schwerpunkt auf dem Relationalen zwischen den verschiedenen Mittlern und ihren Medien, siehe den Vortrag „Humans, Materiality and the Future of Shared Agency“, im Rahmen des Workshops „Global South“, Universität zu Köln 2015.

(2) Christopher Mooney on Pierre Huyghe, in: ArtReview, Oktober 2013, http://artreview.com/features/october_ 2013_feature_pierre_huyghe/ (10.06.2015).
(3) Fiona McGovern, Lemma „Display“, in: Jörn Schaffaf/Nina Schallenberg/Tobias Vogt (Hg.), Kunst-Begriffe der Gegenwart, Von Allegorie bis Zip, S. 43–47, hier S. 45.

(4) Johannes Lang, „Drei Wirklichkeitsbezüge künstlerischer Praxis. Eine Einleitung“, in: ders./Michael Lüthy/ Bernhard Schieder (Hg.), Kunst und Wirklichkeit heute. Affirmation – Kritik – Transformation, Bielefeld 2015, S. 7–15, hier S. 15.