01.Juni bis 15.Juli 2017

Vertrauensbasis

Daniel Maier-Reimer reist. Auf seinen Reisen macht er ein Photo. Doch nicht er ist es, der dieses Photo ausstellt, sondern er lädt andere ein, sich für eine seiner Reisen zu entscheiden. Tatsächlich geht es um die Reise, was die Eingeladenen mit dieser Reise machen, ob sie überhaupt das Photo zeigen, bleibt ihnen überlassen. Diesmal ist Till Krause Maier-Reimers Gast, beide hatten bereits einmal, in der Villa Romana zusammengearbeitet. Till Krause wählte Daniel Maier-Reimers Reise in den Pamir, jenes asiatische Hochgebirge, welches Maier-Reimer in Tadschikistan bewanderte. Till Krause zeigt das Photo in drei Räumen neben Wandbehängen, in denen das Wort „PAMIR“ ausgespart ist, dafür sehen wir die Ränder der Aussparungen farblich akzentuiert. Es gibt noch weitere dieser Behänge, aber sie sind noch auf Reisen, genutzt als Schablonen dienen sie dazu, Flächen irgendwo in Europa und in China mit dem Wort „Pamir“ zu versehen. Wo, werden wir nicht erfahren. Wie Daniel Maier-Reimers Reisen waren, was er auf ihnen erlebte, wissen wir ebenso wenig.

So ist alles die Reise und was mit ihr geschieht. Es gibt keine Substanz, keine Zeugen großer Taten oder Buchstaben. Ist es denn da? – Daniel Maier-Reimer und Till Krause lesen in einer heute auf den Monat genau 134 Jahre alten Ausgabe des Magazins „The Chautauquan“. Daniel und Till, es klingt wie zwei Jugendfreunde, die fasziniert kichernd die alte Monatschrift des Chautauqua Literary and Scientific Circles „Gewidmet der Verbreitung wahrer Kultur“ durchblättern; bis die Frage eines der Texte sie fesselt: „Wenn ein Baum auf einer unbewohnten Insel fällt, macht er dann im Fall ein Geräusch?“. Daniel lässt die Frage, welche oft dem irischen Philosophen George Berkeley zugeschrieben wird, nicht mehr los. Habe ich etwas getan, wenn niemand es sah? Einige Kriminalromane beantworten diese Frage mit „Ja“, aber das ist auch ihre Aufgabe, so schien es ihm damals schon. Fasziniert von der Idee unsichtbar zu sein, beginnt er als junger Mann zu reisen.

Vielleicht interessiert Daniel Maier-Reimer überhaupt nichts am Nichts. Stattdessen versucht er das Etwas zu begreifen. Was ist seine Essenz? Welcher sinnlichen Grundlage bedarf seine Wirksamkeit? Möglich wäre es, sich das Photo jenes Flecken Naturs, aufgedruckt auf einer ansonsten unbeschrifteten, kleinen Verpackung vorzustellen. In dieser Verpackung eine kleine, ebenfalls unbeschriftete Flasche, wenn sie die darin enthaltenen Kügelchen auf dem Boden verteilen, egal wo, kullern diese, wie von Geisterhand, in eine Formation, aus der sich das Wort „PAMIR“ erlesen lässt.

Till Krause mag dieser Idee der Essenz vollends zustimmen, ihr homöopathischer Charakter der wirksamen Flüchtigkeit materialisiert Krause in den temporären Schriftzügen, welche mittels seiner Schablonen irgendwo von Freunden und Bekannten angebracht werden. Und wenn nicht? Wenn sie nur die Ränder der Buchstaben vorgeblich nachlässig eingefärbt haben? „Ist Kunst nur Behauptung“ fragt er sich, wie so viele nicht erst seit Duchamp.

Oder hat er längst seine Meinung und nur ich frage mich das? Verstehen Sie, verehrter Leser, wo ich nun schon so unverschämt bin, das Spotlight im Text über die Ausstellung zweier Künstler auf mich zu wenden: Alles was hier steht, übt Macht aus, lenkt Assoziationen und Vermutungen und korrumpiert damit die Kunst, denn diese fordert vielleicht nur, gleich einem (hoffentlich) guten Freund, Vertrauen. „Ist Kunst vertrauen?“

Nun kichern Daniel und Till, wie damals vor dem Magazin, das Kichern der Gefangenen einer Frage.

Oliver Tepel