Pressetext

21.Januar bis 25.Februar 2017

 

Der Kreis ist Symbol von Unendlichkeit und Harmonie. Die Form hat kein Ende oder keinen Anfang. Schon in der Bronzezeit und im alten China war der Kreis immer ein Symbol des Kosmos (eine runde Scheibe mit einem Loch in der Mitte). Zudem wird er mit Begriffen wie Lebenskreislauf, Produktionszyklus, Erde oder auch Weltall assoziiert. Goethe nutzte einen Farbkreis, um die Harmonie zwischen Farben zu erläutern, Leonardo Da Vinci zeigte die Vollkommenheit des menschlichen Körpers mithilfe des Kreises.

In Christian Theiß’ zweiter Einzelausstellung ›Taking Measurements‹ geht es allerdings nur indirekt um die Form des Kreises. Die Terminologie des Titels wird im Englischen im Schneidergewerbe verwendet, um das Maßnehmen eines Körpers auszudrücken. Die Vermessung eines Kreises oder auch Körpers scheint auf den ersten Blick recht simpel zu sein, doch überträgt man dies auf den menschlichen Kosmos oder gar das Weltall, fällt es schwer, sich eine genaue Vermessung vorzustellen oder gar durchzuführen.

Ein Körper (sei es der menschliche oder ein materieller) steht nicht nur in Relation zum Betrachter, sondern immer zusätzlich auch zum Raum indem er sich befindet. Dennoch verstehen sich Objekte erst durch die Wahrnehmung des Interpreten, wobei die Form, die Beschaffenheit und das Verhältnis zum Raum zum Thema werden. Flache Wandarbeiten wirken anders als freischwebende Objekte oder stehende Skulpturen. Wie ändert sich deren Wirkung durch die vielfältigen Auseinandersetzungen?

Beim Eintreten empfängt den Betrachter ein Objekt aus zwei sich überschneidenden, ausufernden Kreise, die sich in einem großen Kreis befinden. Da die flache Form von allen Seiten betrachtet werden kann, verändert es seine Wirkung, und wirkt entweder Raum einnehmend oder verschwindet fast darin. Die Arbeit hängt einem Fotogramm gegenüber, welches die ausgeschnittenen Kreisteile zeigt. Dabei stehen die beiden Werke nicht nur durch ihre Form im Kontrast zueinander, sondern besonders in der Einnahme des Raumes.

Mit einem Zollstock gibt Theiß einen Hinweis auf das „Maß“ nehmen an sich, und das Fotogramm ›Inside the Clock‹ lässt sich mit dem Vermessen der Zeit (Uhrwerk) oder einem Produktionskreislauf assoziieren.

In den hinteren Galerieräumen kommt der Kontrast zwischen dem Weltlichen und dem Kosmischen zum Vorschein. Ein Kreis aus Eisenbahnschienen ist Symbol der irdischen Entwicklung (Industrialisierung), seine andere Ansicht glänzt kosmisch als Sakralkunst-Verweis. Die zwei, durch eine Kette miteinander verbundenen und von der Decke hängenden Kugeln nehmen den Raum ein und erschweren das Eintreten. Die Bezogenheit zum Raum, „schwere“ Materialität und Form sind dabei ebenso prägnant wie der Kontrast zwischen Irdischem und Kosmischen, indem die Kugeln im Raum wie im Weltall schweben.

 

Ariane Löckmann